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Die neue Jeschiwa im Jüdischen Bildungszentrum
von Ari Zucker

Im Erdgeschoß des Wilmersdorfer Chabad-Zentrums herrscht emsige Lernatmosphäre. Junge Bocherim aus Amerika und Australien „belagern“ das Lehrzimmer gleich neben der modernen Synagoge, vertieft in das Studium von Talmud und jüdischer Ethik. Was Rabbiner Yehuda Teichtal Anfang September - zur Eröffnungsfeier des Zentrums - noch vage ankündigte, ist zwei Monate später Wirklichkeit: Die erste Lubawitscher Jeschiwa in Ost-Deutschland hat ihre Pforten geöffnet.

Auffällig ist vor allem ihr internationaler Charakter: Die momentan zehn Bocherim kommen aus Australien, den USA, Belgien und Frankreich. Allesamt haben ein Vorbereitungsprogramm in der New Yorker Jeschiwa „Holy Tora“ absolviert und werden zunächst für ein Jahr in Berlin studieren. Manche von ihnen, wie Shmuel Loebenstein aus New York (20), haben deutsch-jüdische Vorfahren - und sind doch selbst noch etwas darüber erstaunt, hier im Herzen des „Alten Kontinents“ gelandet zu sein. „Natürlich gab es ein paar Irritationen in der Familie, als ich erklärte, ich werde eine neu eröffnete Yeshiva in Berlin besuchen“, erzählt Shmuel Loebenstein. Aber dann haben es doch alle akzeptiert, und hier herrscht eine ausgezeichnete Lernatmosphäre.“ Dov Barber (20), der den Weg von Australien über New York nach Berlin fand, hat jetzt schon einen Draht zur deutschen Metropole gefunden. „Man merkt, dass die Stadt pulsiert und lebt. Soviel Bewegung, komprimierte Geschichte und Kultur, so viele jungen Menschen. Dabei sind wir erst wenige Wochen hier.“

Dov Ber Kahn (26), der Leiter der neuen Jeschiwa, ist  beeindruckt von der Motivation „seiner“ Studenten. Dennoch weiß er, dass das erste Jahr nicht einfach werden wird. „Wir haben aber keine Zeit, uns große Sorgen zu machen“, sagt Dov Kahn, „jeder Tag ist angefüllt mit intensiven Studien und anderen Verpflichtungen. Unsere Aufgabe ist es, nicht nur zu studieren, sondern das Gelernte auch in seiner ganzen Fülle weiterzugeben: Lilmod chajaw lelamed.“

Ein gewöhnlicher Wochentag in der Jeschiwa beginnt oft mit individuellen Studien in der Frühe. Nach dem Morgengebet (Schacharit) folgen für anderthalb Stunden Chassidut. Der Vormittag und der Nachmittag gehören intensiven Talmudstudien, viel Augenmerk wird dabei auf jüdische Ethik gerichtet. Weitere anderthalb Stunden Chassidut beschließen das offizielle Tagesprogramm. „Die Studentenwollen aber oft weiter lernen“, freut sich Dov Kahn, „und einige von ihnen kann man gegen zehn oder elf am Abend immer noch im Lehrzimmer finden. Dann sind sie mit Themen eigener Wahl beschäftigt.“ Dov Barber betont, dass der Austausch über die jeweiligen Talmud-Traktate – teilweise in Zweiergruppen, teils auch in Seminarform – „auf einem hohen intellektuellen Niveau“ erfolgt. „Das erfordert, dass du mit deiner ganzen Person dabei bist.“ Im Moment steht - unter anderem - Talmud-Traktat Baba Basra auf dem Plan.

Das straffe Lernprogramm in der Münsterschen Straße könnte vermuten lassen, dass die Studenten kaum Zeit finden, einen Fuß auf die Berliner Straßen zu setzen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Mit Unterstützung von Rabbiner Yehuda Teichtal und Rabbiner Shmuel Segal bereiten sich die jungen Männer darauf vor, bald bei jüdischen G-ttesdiensten im Umland auszuhelfen, ältere und kranke Menschen zu besuchen, sogar Besuchsdienste in Haftanstalten zu übernehmen. „Jüdischkeit zu vermitteln und zu leben, das ist ein dynamischer Prozess“, sagt Dov Kahn. „Wer Alef gelernt hat, soll Alef lehren, und wer Beit gelernt hat, soll auch Beit vermitteln. Hier in Berlin leben Zehntausende Juden, aber die Kenntnisse der Tora sind eher gering. Wir wollen unser Bestes tun, dass sich das bald ändert.“

Zehn Bocherim haben sich dem Berliner Ein-Jahres-Programm verpflichtet. Ein scheinbar kleines „Pflänzchen“ - verglichen mit solch etablierten Jeschiwot wie „Toras Emes“ in Jerusalem oder „Tomchei Temimim“ in Brooklyn. Doch der Auftakt ist vollzogen, die Pflanze kann wachsen. Und Rabbiner Kahn lässt keinen Zweifel: „Jede Gemeinde sollte ihre eigene Jeschiwa besitzen – auch in Deutschland.“